Nach NORDIRLAND reisen ist für mich ehrlich gesagt mittlerweile nichts außergewöhnliches mehr, denn im Jahre 2002 ist meine Familie in die nordirische Stadt DERRY ausgewandert. Immer wieder außergewöhnlich finde ich aber die Landschaft Nordirlands: es gibt weite Strände an denen sich selbst an Weihnachten Surfer tummeln, steile Klippen, von denen ich unendlich weit über das Meer hinweg sehen kann, grüne Wiesen auf denen Ruinen stehen und quirlige Ortschaften mit Live-Musik in den Pubs.
Irgendwann saß ich mit Freunden beisammen, die in einer Band spielen, und schwärmte ihnen von den einsamen Bergseen, wilden Küsten und verwunschen Wäldern im COUNTY DERRY und der ANTRIM COAST vor. Ich konnte nicht ahnen, dass die Jungs gerade nach Inspirationen für ihr neues Musikvideo suchen. Sofort spitzten sie die Ohren, woraufhin ich meine Schwester bat, eine Liste mit interessanten und zu ihren Wünschen passenden Drehorten zusammen zu suchen.
Wenig später fiel die Entscheidung: es geht nach Nordirland!
Aller Anfang ist organisatorisch
Nach der Ankunft in DUBLIN und der Mietwagenannahme holen wir zunächst das Kamera-Equipment bei einem Verleih in der Stadt ab. Nachdem alles im Kofferraum verstaut ist, geht es schnurstracks nach DERRY weiter, wo meine Schwester und meine Mutter uns bei der Ankunft freudestrahlend in Empfang nehmen.
Sie haben schon alles für unseren Besuch vorbereitet und so gleicht unser Haus einer Jugendherberge. Überall liegen Matratzen auf dem Boden. Neben der dreiköpfigen Killerpilze-Band sind noch ein Kameramann und der Regisseur dabei. Ich fühle mich jetzt schon wie auf einer Klassenfahrt und bin so aufgedreht, dass ich kaum schlafen kann.
Der erste Tag in Nordirland steht im Zeichen der Organisation. Wir fahren alle Drehorte ab, um zu prüfen, ob wir noch zusätzliches Equipment benötigen. Es scheint alles in bester Ordnung zu sein, so dass wir abends in einem Pub in DERRY auf die grandiose Nordirland-Idee anstoßen.
Derry wird auch WALLED CITY genannt, da noch große Teile der mehr als 400 Jahre alten Stadtmauer vorhanden sind. Sie gehören zu einer ehemaligen Festungsanlage, die der damalige König James I hat errichten lassen. Stellenweise ist die Mauer bis zu zehn Meter dick und auf einem Abschnitt stehen auch heute noch schweren schwarzen Kanonen.
Ansonsten ist DERRY eine spannende quirlige Stadt. In vielen Teilen Derrys gibt es Street Art an den Häuserwänden. In den zahlreichen Pubs gibt es eigentlich an jedem Abend Live-Musik und im Craft Village lässt es sich in den vielen kleinen Designer Shops richtig gut Geld ausgeben.
Der wilde Bergsee Lough Naminn
Am ersten Drehtag klingelt der Wecker um 05:30 Uhr. Ein Blick aus dem Fenster verrät: das Wetter ist durchwachsen. Wir hoffen, dass sich die dicken Regenwolken über den Tag hinweg verziehen und wir auch ein paar Sonnenstrahlen erwischen.
Noch mit etwas müden Augen fahren wird durch die wunderschönen, sich ständig verändernden Landschaften Nordirlands. Es gibt weite Felder, hinter denen sich das Meer versteckt oder sanfte immergrüne Hügel mit alten Steinmauern, auf denen Schafe grasen. Manchmal fahren wir durch dichte Wälder, in denen ich direkt wieder müde werde, weil es plötzlich so dunkel ist im Auto. Schließlich fahren wir im COUNTY DONEGAL, fast an der Nordspitze der irischen Insel, in ein hügeliges Gebiet. Hier ist die Landschaft etwas schroffer. Nadelbäume, Heidekraut und Felsen dominieren die Szenerie. Der erste Drehort liegt oben auf einem der Berge, beim See Lough Naminn, wo sich die Wolken gerade im Gipfel verfangen haben. Das sorgt direkt für die gewisse Dramatik.
Wir treffen uns hier mit den beiden Fischern Michael und Jason. Die Jungs hatten im Vorfeld schon Kontakt mit ihnen aufgenommen und sich von ihnen ein wunderschönes Floß zusammenbauen lassen. Amüsiert von der Idee, dass sie Teil eines Musikvideos sein dürfen, bringen sie das Floß samt Beiboot in aller Frühe zum See. Typisch irisch erzählen sie uns als erstes, dass sie wohl noch ein bisschen beschwipst seien, da sie bis vier Uhr morgens auf ihren erfolgreichen Floßbau angestoßen haben.
Michael gibt Fabian, dem Schlagzeuger der Band, noch schnell eine kurze Einweisung für die Bedienung des Motorboots, bevor sich die beiden Iren verabschieden und uns viel Erfolg wünschen. Das wünsche ich uns auch, denn gerade lässt das Wetter noch zu wünschen übrig. Ich ziehe jetzt schon innerlich den Hut vor Fabian, der den ganzen Tag barfuß und mit offener, natürlich nicht wasserdichter Jacke, auf dem Floß herumspringen muss.
Allesamt staken wir durch die Moorlandschaft. Nach den ersten Szenen am Ufer und an einem kleinen Felsenhügel, bei dem sich Fabi die ersten Schrammen beim Springen geholt hat, wollen wir das Floß hinüber zur kleinen Insel fahren, die mitten in dem See liegt. So wie Jason es eingangs erklärt hat, sollte das ganz einfach und ganz schnell gehen, trotz der vielen Untiefen in Form großer Steine im See, vor denen uns die Fischer gewarnt haben. Hier sollen wir ganz besonders mit dem Hilfsmotor aufpassen.
Wenn der Motor doch überhaupt erstmal zum Einsatz kommen würde! In der ersten Stunde bekommen Fabi und ich das Boot partout nicht in den Griff. Immer wieder werden wir von der Strömung auf Felsen gespült, von denen wir nicht weg kommen, egal wie doll wir uns mit den Rudern abstoßen. Irgendwann schaffen wir es; das Boot läuft und wir binden das Floß an.
Sehr langsam und sehr gemächlich steuern wir auf die Insel zu. Der Motor läuft zwar, aber er scheint nicht der Stärkste zu sein. Fabi muss zusätzlich an die Ruder. Nach wenigen Minuten herrscht plötzlich Stille; der Motor kapituliert vollends. Mit den Rudern kommen wir nicht gegen die Strömung an und als es kaum schlimmer werden kann, verheddert sich das Floß an einem Felsen. Nun kapitulieren wir; machen das Seil los und lassen das Floß an dem Felsen zurück, um uns mit dem Boot Richtung Land treiben zu lassen. Es fehlen nur noch wenige Meter bis ans Ufer, die uns aber irgendwie nicht gelingen wollen. Unsere Freunde zögern nicht und fassen sich an den Händen, um eine Kette zu bildern. Gemeinsam marschieren sie ins Wasser, um uns an Land zu ziehen.
Erschöpft lassen wir uns auf den nassen Moorboden fallen, nun ist auch alles egal. Als wir wieder zu Kräften gekommen sind, geben wir uns die Blöße und rufen die Fischer an. Offenbar haben sie sofort alles stehen und liegen gelassen, denn kurze Zeit später sehen wir ihren Truck die Schotterpiste zum See hinauf fahren.
Es ist kaum zu glauben, aber die beiden schaffen es binnen weniger Minuten, den Motor vom Boot zum Laufen zu bringen, das Floß einzusammeln und die Kamera-Jungs und Fabi auf die Insel zu schippern, wo sie die letzten Szenen des Tages drehen.
Abenteuer im Märchenwald
Am zweiten Drehtag können wir nahezu ausschlafen, denn der Wecker klingelt erst um 6:00 Uhr. Heute drehen wir direkt in Derry, in einem verwunschenen Märchenwald; dem NESS WOODS.
Der Wald ist eigentlich eine steile bewaldete Schlucht, mit Nordirlands höchsten Wasserfall. Mitten durch ihn hindurch fließt der BURNTOLLET RIVER. Er verbindet NESS und ERVEY WOODS, einen weiteren Märchenwald, miteinander.
Während die Band und die Kameraleute das Equipment aufbauen, machen meine Schwester und ich einen Rundgang durch den Wald. Es gibt einen recht neuen, sehr gut ausgebauten Weg über Brücken und Treppen. Und: es gibt einen alten Rundgang. Er ist mit einem Zaun und einem „Betreten verboten“-Schild versehen. Die ersten Sträucher ranken sich schon um das Schild. Wie magisch werden wir von eben diesem Weg angezogen und klettern schließlich über den Zaun. Immerzu geht es die alten, teilweise weit zur Seite kippenden Brücken bergauf und bergab. Mehrmals müssen wir über umgestürzte Bäume klettern. Wir wandern an einem kleinen Fluss entlang und schon bald hören wir das tosende Geräusch des Wasserfalls.
Abenteuer macht hungrig und so entscheiden wir uns nach der Wanderung, zu Hause ein paar Lunchpakete für die Truppe fertig zu machen. Kaum zur Tür rein, erhalten wie die Nachricht, dass nun auch trockene Klamotten benötigt werden, da Fabi soeben in den Fluss gefallen ist.
Als wir in den Wald zurückkommen, erwartet uns der Schlagzeuger stilecht im weißen Bademantel und Latschen.
Wie gut, dass wir ansonsten bestens vorbereitet sind und alle festes Schuhwerk dabei haben, denn der Abstieg zum Wasserfall, unserem nächsten Drehort, ist nicht nur abenteuerlich, sondern recht waghalsig. Hätte sich der Regen der letzten Tage gehalten, wäre es unmöglich gewesen, sicher zum Wasserfall zu gelangen. Fast senkrecht rutschen wir die Böschung hinunter. Ab und zu können wir an Steinen die treppenartig am Abhang liegen pausieren oder uns an Ästen festhalten, um kurz zu Verschnaufen. Das Equipment hätten wir in keinem Fall mit uns nehmen können. Das lassen wir später neben dem Wasserfall am steilen Abhang mithilfe eines Seils hinab.
Als wir unten ankommen wird schnell klar: es war die Mühe wert. Die Kulisse ist atemberaubend. Der Wasserfall ergießt sich in ein großes, rundes, natürliches Becken. Durch die Gischt ist alles sehr feucht. Überall auf den Bäumen und Steinen liegt Moos, dass in der Sonne leuchtet, sobald sie durch die Baumwipfel funkelt. Eiskalt ist es heute trotzdem noch. Und für Max, den Sänger und Gitarristen, ist es sicher nicht nur angenehm, sich in das noch kältere Wasser zu stellen, um die perfekte Szene zu drehen.
Sonne am Giant’s Causeway
Am letzten Drehtag werden wir für unsere bisherigen Strapazen und das abermals sehr frühe Weckerklingeln mit schönstem Sonnenschein belohnt. Das ist perfekt für den heutigen Drehtag, den wir nämlich am GIANT’S CAUSEWAY verbringen werden.
Der GIANT’S CAUSEWAY ist vermutlich die beliebteste Sehenswürdigkeit von Nordirland. Unterhalb der spektakulären Steilküste, in einer tosenden Bucht, ragen tausende von vulkanischen Steinformationen in die Höhe. Jedes Mal, wenn ich meine Familie in Nordirland besuche, muss ich hierher. Es ist einfach zu schön! Seit ein paar Jahren gibt es ein Besucherzentrum, in dem es ein kleines Museum und ein Restaurant gibt. Außerdem kann man hier Shuttle-Busse nehmen, wenn man nicht den ganzen Weg bis zur Küste laufen möchte.
Für mich ist es jedoch komisch, plötzlich 8,50 GBP Eintritt für etwas zahlen zu müssen, was bisher kostenfrei war. Gekonnt mogeln wir uns also am Besucherzentrum vorbei und gehen einen kleinen Trampelpfad Richtung Meer entlang.
Ganz so schlecht ist unser Gewissen nicht, denn wir sind so früh, dass das Besucherzentrum ohnehin noch nicht geöffnet hat. Mit Proviant und Equipment bewaffnet, schlendern wir Richtung Wasser. Plötzlich werden Fabian und David, der Videoregisseur, von einem Mitarbeiter der Parkaufsicht angehalten. Der durchaus freundliche Frank fragt nach der (natürlich nicht vorhandenen) Drehgenehmigung. Sicherlich hätten wir die Dreharbeiten anmelden, und wahrscheinlich eine hohe Gebühr zahlen, müssen. Fabi erklärt ihm, dass wir deutsche Studenten sind und eine Doku über Nordirland drehen, in der der GIANT’S CAUSEWAY nicht fehlen darf. Der Parkwächter nickt anerkennend und bittet Fabi dann trotzdem, mit ins Besucherzentrum zu kommen. Kurze Zeit später kommt Fabi freudestrahlend zurück. Sein Charme hat gesiegt: wir dürfen drehen; so viel und so lange wir wollen.
Wir machen uns gleich auf zu den Vulkangestein-Säulen. Sie ragen ganz unregelmäßig aus dem Meer empor. Ein bisschen wie Tetris-Reihen. Es ist immer noch früh und es sind kaum Menschen hier, weswegen wir uns sogleich an die Weitwinkelaufnahmen machen. Jo, der andere Sänger und Gitarrist der Killerpilze, springt unermüdlich von Säule zu Säule.
Frank, der Parkwächter und Tourguide, wie wir später lernen, begegnet uns noch einige Male. Jeder seiner Touristen-Gruppen erzählt er wieder ganz stolz, dass wir Film-Studenten aus Deutschland seien, die eine wichtige Doku drehen.
Als sich die Bucht weiter mit Besuchern füllt, gehen wir ein Stück am Meer entlang und entdecken ein Feld mit kopfhohem Schilf, welches durch die strahlende Sonne ganz golden leuchtet. Hier drehen wir noch schnell die letzten Szenen für das Musikvideo, bis der Regisseur ein letztes Mal „Uuund, Cut!“ ruft.
Freudig fallen wir uns alle in die Arme. Selbst ich habe in den letzten Tagen wieder neue, ganz andere Eindrücke von der CAUSEWAY COAST und dem nordirischen Binnenland bekommen.
Das fertige Musikvideo
Ein paar Wochen später ist schließlich das Video der Killerpilze zum Song „Sommerregen” fertig. Es ist ganz fantastisch geworden und ich bin ganz stolz darauf, ein Teil dieser wunderbaren Aufnahmen sein zu dürfen. Wenn ich mir das Video ansehe, muss ich grinsen und an den Tag zurückdenken, an dem Fabi zu mir sagte „Keine Ahnung, wo wir das drehen wollen. Es soll eine eine atemberaubende Kulisse sein.“ Ganz klar: das ist NORDIRLAND!
Übersicht der Drehorte
Die Küste an der nördlichsten Stelle Irlands ist rauh. Meist weht ein starker Wind. Auch auf den Bergen etwas weiter im Landesinneren ist das Wetter teilweise launisch. Hier auf einem Plateau liegen inmitten von Heidelandschaft und schroffen Felsen die beiden Seen Lough Fad und Lough Naminn.
Als ich das erste Mal in diesem Wald spazieren war, habe ich die Welt um mich herum vergessen. Überall ranken sich Grünpflanzen um die Bäume und Holzbrücken. Das Wasser des Burntollet River plätschert die Felsen entlang. Irgendwann wunderte ich mich über das laute Rauschen und plötzlich stand ich am höchsten Wasserfall von Nordirland.
Der Giant’s Causeway ist der Superstar der Sehenswürdigkeiten Nordirlands. Vollkommen zu recht! Der Blick von der Steilküste aus lässt den Causeway wie kleine Stäbchen im Wasser aussehen. Ganz anders wirken die vulkanstein Säulen, wenn sie direkt vor dir aus dem Wasser empor steigen.
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